RACHAEL NEWSHAM: SIE HAT IHRE STIMME GEFUNDEN

Rachael Newsham ist nicht nur eine echte Kämpferin, sondern auch ein Fitspo-Vorbild für viele Instruktoren und Teilnehmer rund um die Welt. Kurz nach dem Internationalen Frauentag traf ich mich mit ihr, um über weibliche Stärken, TIME’S UP und wie man das Leben auch nach Tiefschlägen meistert, zu reden.

Du bist eine Hälfte des Choreografie-Duos hinter BODYCOMBAT. Bei diesem Programm geht es darum, über sich selbst hinauszuwachsen und Empowerment zu zeigen. Was bedeutet Empowerment für dich?

Ich glaube, dass wir alle mit einer unfassbaren Kraft tief in uns drinnen geboren werden. Meistens kann man diese Kraft ans Tageslicht befördern, wenn man eine Krise oder ein Trauma zu meistern hat. Empowerment bedeutet für mich diese tiefliegende Kraft freizusetzen. Jeder ist natürlich einzigartig und was für den einen gilt, gilt für den anderen nicht. In meinem Leben musste ich in verschiedenen Phasen diese Kraft freisetzen.

Meine früheste und traumatischste Erinnerung ist die, als mein Vater verstarb. Ich war gerade einmal 18 Jahre alt und habe es einfach nicht kommen sehen. Damals musste ich schauen, ob da noch etwas in mir steckte, von dem ich nichts ahnte und ja, ich hatte dieses Empowerment und die Fähigkeit weiterzumachen.

Wie haben dich solche Momente, bei denen du Empowerment zeigen musstest, verändert?

Jedes einzelne Trauma hat mich nur stärker gemacht. Ich glaube, für mich geht es auch darum, meine Stimme einzusetzen. Und damit meine ich nicht die Stimme, wenn ich einen Kaffee bestelle. Ich meine die Stimme meiner innersten Sehnsüchte, Wünsche und Ambitionen. Die Stimme, die im Namen von Rachel spricht – das ist die Person, die ich wirklich bin. Indem ich dieser Stimme Ausdruck verleihe und mächtig bin sie zu nutzen, kann ich die Entwicklung meines Empowerment sehen.


Als Kinder haben wir noch keine Angst das anzusprechen, was wir wollen. Aber diese Stimme kann im Laufe der Jahre verloren gehen, weil wir uns den Normen und Werten der Gesellschaft in unserem Verhalten „angemessen” anpassen. Es gab in meinem Leben häufig Situationen, in denen ich mit inneren Konflikten zu kämpfen hatte und es schwierig fand, meine Ansichten zu verteidigen. Meine Stimme zu verwenden ist wirklich schwierig für mich –es ist tatsächlich schwierig –, da ich eigentlich niemand bin, der laut aufspricht. Die junge Rach hat mit Tränen in den Augen alles heruntergeschluckt. Sie hatte weder die Selbstsicherheit noch das Vokabular, um dagegen anzusprechen. Aber diese Zeiten haben sich geändert, ich bin jetzt älter und habe viele Erfahrungen gesammelt.

Es gab in jüngster Zeit eine Flut an Enthüllungen rund um sexuelle Belästigungen gegenüber Frauen in Hollywood – und anderen Branchen. Was bedeutet für dich als Frau die TIME’S-UP-Kampagne?

Was in dieser Branche vor sich ging, hat die Sicht der Dinge verändert. Es hat mich angewidert zu sehen, dass einige der stärksten und erfolgreichsten Schauspielerinnen der Welt diesem Missbrauch ausgesetzt waren. Zu hören, wie sie dieses erniedrigende, vernichtende Verhalten ertragen mussten, war grausam. Ich dachte nur, wie kann es sein, dass ich in so einer Welt lebe? Durch die TIME’S-UP-Kampagne habe ich auch über meine eigene Situation nachgedacht.

Ich betrachte mich selbst als ziemlich stark und voller Empowerment, aber ich habe meine eigenen Bedürfnisse hinten angestellt und Situationen belassen wie sie waren. Im Gegensatz dazu, was die Frauen durchmachen mussten, sind meine Probleme kein Vergleich, aber es tat gut zu hören, wie sie den Mund aufmachten und sagten, dass das, was sie durchmachen mussten, absolut inakzeptabel ist. Das hat mir geholfen, meine eigene Angst abzubauen und meine Stimme einzusetzen.

Was wäre so eine Situation, in der du deine Stimme erheben würdest?

Wenn ich in einer Gruppe ein Verhalten gegenüber einer anderen Person beobachte, das gewalttätig, einschüchternd oder unangemessen ist, dann würde ich mich schützend hinter diese Person stellen, weil ich weiß, dass es einfacher ist, für jemand anderen zu sprechen als für sich selbst. Wenn sich alles in mir zusammenzieht und ich merke, dass etwas nicht stimmt, dann habe ich kein Problem damit meine Stimme einzusetzen.

In einer Eins-zu-Eins-Situation zu sein, ist natürlich noch einmal etwas ganz anderes. Wenn ich selbst betroffen bin, dann fühle ich mich nicht so frei in meinem Handeln. Ich kann nicht emotional oder mental agieren und gleichzeitig ein Gespräch normal führen. Ich kenne mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ich nicht immer Recht habe und die Erfahrung hat gezeigt, dass es manchmal besser ist, einen Schritt zurückzutreten, zuzuhören und erst zu antworten, wenn ich nicht mehr emotional bin.

Als Program Director von BODYCOMBAT und SH’BAM bist du eines der bekanntesten Gesichter bei LES MILLS. Wie ziehst du eine Grenze zwischen Privatem und Beruflichem?

Es gibt im Leben immer wieder Situationen, an denen man eine persönliche Krise beiseite stellen muss, um seinen Beruf nach bestem Können zu erledigen. Ich denke, dass mir viele Instruktoren nachempfinden können, wenn ich sage, dass es Zeiten gab, an denen die Welt um mich in Stücke zerbrach und ich meine Tränen aus dem Gesicht wischen musste, um zehn Minuten später auf die Bühne zu gehen und ein Weltklassetraining abzuliefern. Sogar einmal während einer Drehwoche hatte ich das – und diese Zeit ist sowieso schon sehr stressintensiv. Ich musste ganz oft in mich gehen und einfach auf das Unterrichten konzentrieren, obwohl das Letzte, was ich tun wollte war, vor einer große Menge an Menschen zu stehen. Glücklicherweise habe ich ein großartiges Team, auf das ich mich immer verlassen kann. Danke DC und dem Team von LES MILLS Auckland.

Es ist ganz einfach – ich bin ein Mensch. Für manche Menschen bin ich jemand, dessen Leben voll von Kicks ist, ähnlich wie bei einem Rockstar. Aber ich bin doch immer auch ein Mensch. Ich muss mich durchkämpfen wie jeder andere auch. Eine Zeitlang habe ich Sehnsüchte, Wünsche, Träume und das, woran ich glaube, immer hinten angestellt. Die Arbeit hat mich so vereinnahmt, weil ich das alles so sehr geliebt habe und wusste, wenn ich erfolgreich sein wollte, dann musste ich alles geben. Und das Beste daran war – dass es geklappt hat! Alles an meinem Job ist und war einzigartig, ich war einfach wie dafür gemacht. Was ich aber nicht merkte war, welchen Einfluss das Ganze auf mein Privatleben hatte. Ich wollte in meinem Privatleben unbedingt den gleichen Erfolg und jedes Mal, wenn ich fiel, habe ich mehr und mehr Kraft benötigt, um wieder aufzustehen. Als erfolgreiche Karrierefrau war das lähmend.

Was ich daraus gelernt habe, ist die Tatsache, dass man nicht alles haben kann. Ich kann so dankbar sein, dass ich diesen außergewöhnlichen beruflichen Erfolg habe und vielleicht muss ich akzeptieren, dass es dafür in meinem Privatleben ständig auf und ab geht. Und über meine Karriere bin ich wirklich glücklich. Tief in meinem Herzen glaube ich, dass die richtige Person zur richtigen Zeit meine wahre Größe sehen wird, nicht eingeschüchtert, sondern stolz auf mich sein wird – mich unterstützt und ermutigt weiter zu machen. Und auf diesen Moment freue ich mich.

Du bist für den Job als Program Director bei LES MILLS von Großbritannien nach Neuseeland gezogen. Was war das Schwierigste daran, auf die andere Seite der Welt zu ziehen?

Ich bin hierher gezogen, da war ich 24 und kannte kaum jemanden. Das Schwierigste in dieser Zeit war die Einsamkeit. Auckland ist wie eine große Gemeinschaft und Dan (Cohen, Co-Program Director für BODYCOMBAT) und ich vermissten einen Freundeskreis.

Wir hatten uns in Großbritannien wohlgefühlt – wir fühlten uns, als wären wir angekommen! Dann kamen wir hierher, hatten den besten Job der Welt, aber in Auckland stießen wir verständlicher Weise auf etwas missmutige Leute, die enttäuscht waren, dass sie ihre alten Program Directors verloren hatten. Weißt du, da kamen wir zwei kleinen englischen Kids an und mussten in große Fußstapfen treten. Wir mussten uns einfach beweisen. Es war eine Herausforderung und oft fühlten wir uns von unserer Umgebung isoliert. Aber es war auch wieder eine Zeit, in der ich mit Empowerment entgegnete und einfach dachte, wenn das Schiff sinkt, dann schwimmst du eben, Rach.

Es war ein Traumjob, aber unser Leben war nicht wie im Traum, da uns ein Freundeskreis fehlte. Wir hatten Glück, dass wir uns gegenseitig hatten. Dan integrierte sich schneller als ich. Er schloss schneller Freundschaften als ich, ich war introvertierter. Wie auch immer habe ich dann auch Freundschaften geschlossen und diese habe ich bis heute. Das Warten hat sich gelohnt.

Kannst du uns erklären, wie du dein weibliches Empowerment mit in BODYCOMBAT einbringst?

Das Workout ist ein Teil von mir, es ist ein Teil dessen, was ich bisher durchlebt habe. Wir konzipieren das Workout nach den Gesichtspunkten Musik und Gefühl. Ich achte sehr darauf, dass dieses Gefühl herüberkommt, wenn andere den Kurs besuchen. Jedes Workout trägt meine DNA, die ich wie Parfum darauf versprühe, mein persönliches Empowerment-Parfum (Eau de Rach – wenn jemand Interesse an der Geschäftsidee hat, dann schreib mir). Das ist es, was die Leute kriegen: einen Teil von mir.

Bei Dan ist das nicht anders. Man kann richtig sehen, bei welchen Bewegungen er sein Testosteron versprüht und seine Männlichkeit unter Beweis stellt. Wir stellen die Choreografie immer gemeinsam zusammen, 50/50. Aus diesem Grund gibt es immer das Beste von uns beiden und so können wir auch die besten Releases überhaupt kreieren. Das Programm ist unser gemeinsames Baby.

Wie arbeiten du und Dan gemeinsam und wie kreiert ihr diese unglaublichen Releases?

Es geht Schritt für Schritt voran. Außerdem brauchen wir VIEL Kaffee, lachen gemeinsam und kennen uns einfach so gut, dass wir ehrlich und authentisch miteinander reden können. Unsere Liebe zum Programm bestimmt die Entscheidungen, die wir fällen – das Programm steht über allem.

Gibt es etwas, das andere überraschen würde über dich zu erfahren?

Ich war früher wahnsinnig schüchtern, definitiv niemand, der der Mittelpunkt einer Party war. In einem Raum voller Menschen habe ich mich nicht sehr wohl gefühlt. Aber als mein Vater starb, habe ich begriffen, dass alles in einem Wimpernschlag vorbei sein kann. Damals fragte ich mich, ob mein Vater auf mich stolz gewesen wäre, wenn mein Leben morgen vorbei gewesen wäre. Das zeigte mir, dass meine Schüchternheit mir nicht diente.

Mein größtes Glück nach dieser schweren Zeit war, dass ich BODYPUMP kennenlernte und das Unterrichten vor einer großen Menge geschafft habe. Ich entdeckte auf einmal, dass ich Menschen gut unterhalten konnte (lacht). Es ist mir nie aufgefallen, weil ich immer damit zufrieden war, ein Teil der Gruppe zu sein – nie die Primaballerina. Aber durch das Unterrichten habe ich Fähigkeiten in mir entdeckt, die ich bis dahin nicht kannte.

Wer sind deine weiblichen Vorbilder im Leben?

Zuallererst meine Mutter, die zwei Kinder aufgezogen und dafür viele Opfer gebracht hat.

Celebrities waren nie meine großen Vorbilder, aber in meiner Tanzschule gab es eine Frau namens Tracy, die gut zehn Jahre älter war als ich. Ich war eine bullige 13-Jährige und sie war eine atemberaubende Frau mit tollen Beinen, dafür bewunderte ich sie. Ja – ich war ein stämmiges Mädchen in der Pubertät! In Tanzshows musste ich immer der Junge sein, nie war ich das Mädchen.

Außerdem bewundere ich Jackie (Mills) sehr, denn es ist eine große Herausforderung eng mit deinem Partner zu arbeiten. Ich war am Kämpfen und fragte einfach nur, wie macht sie das?

Und ich bewundere sehr Diana (Archer Mills). Sie half mir während vieler Herausforderungen, die ich zu bewältigen hatte, und sie ist immer für mich da. Sie hat diesen Spirit und macht ihr Ding. Sie riskiert Dinge, zu denen ich nicht mutig genug wäre – manchmal macht mir das Angst. Wir haben sehr unterschiedliche Herangehensweisen an das Leben, aber wir beide meistern es.

KG (Kylie Gates) trat als Creative Director für SH’BAM in mein Leben und ist als Frau ein unglaubliches Vorbild für mich. Sie unterstützt mich auf meinem Weg und ich bin froh, sie zu haben. Dass ich meine Stimme gefunden habe, verdanke ich ihr – sie ist ein unglaublicher Coach, falls jemand nach einem sucht!

Mein Freundeskreis in Großbritannien und auch in Auckland haben mir maßgeblich geholfen, in dieser verrückten Welt vernünftig zu bleiben. Wo wäre ich ohne sie? Sie sind alle tolle Vorbilder.

Was bedeutet für dich Erfahrung?

Wenn ich mit einer Metapher antworten würde, dann würde ich sagen, dass es die Ecken und Kanten in meinem Leben waren. Erfahrung sind all die Wände, Böden, Decken, Räume, Gesichter, die ich in meinem Leben gesehen habe und all die Orte, die ich entdeckt habe und mich prägten. Erfahrung hat das aus mir gemacht, was ich bin und wird mich weiter formen.

Was würdest du deinem 18 Jahre alten Ich gerne sagen?

Ich bin mit meiner Karriere zufrieden und habe das Vertrauen, dass Dinge funktionieren, wenn man alles dafür gibt, jeden Tag. Also würde ich meinem 18 Jahre alten Ich sagen, dass es verdammt stolz auf sich selbst sein kann. Auch wenn es sich gerade so anfühlt, als ob alles um dich herum zusammenbricht, hast du alles, was du brauchst, um es durchzustehen. Du wirst viel reisen und tolle Leute kennenlernen und auf dein Vermächtnis wäre dein Vater sehr stolz. Mach dir keine Sorgen, alles wird gut werden. Und wenn im Leben nicht alles so klappt, wie du es dir wünschst, dann wirst du einen Weg finden, um das Beste daraus zu machen. Steh wieder auf, bleib ruhig und mach weiter.

Wie gibst du dir selbst Empowerment?

Empowerment ist kein Status, den du plötzlich erlangst. Es ist ein fortlaufender Prozess und ich denke, es gibt viele verschiedene Hürden, die du nehmen musst, um Empowerment in dir zu tragen. Du musst es weiter versuchen, nett zu dir selbst sein und weitermachen, weil das, was sich hinter der Tür verbirgt, ist großartig.

Wenn mich das Leben mit dummen Tests auf die Probe stellt, dann denke ich, was zur Hölle habe ich getan, dass ich das tun muss? Dann halte ich inne, nehme mir einen Moment, manchmal bin emotional, wenn es sein muss und dann – wenn ich bereit bin – nehme ich die verdammte Hürde, weil ich weiß, dass das, was am Ende kommt, es wert ist. Und ich habe ein Motto, ich glaube, Churchill hat das gesagt: „Wenn du durch die Hölle gehst, dann geh weiter, außer du willst dort bleiben.” Ich reflektiere viel. Das mache ich, weil ich es nicht leiden kann, wenn Menschen mit anderen leichtsinnig umgehen. Ich glaube sehr an Rücksichtnahme.

Manchmal musst du auch einfach aufhören zu denken und deine Prüfung annehmen. Tatsächlich hat das Diana vor einigen Jahren zu mir gesagt: Es gibt noch so Vieles in deinem Leben, was du lernen musst, Rach. Mache einfach die Prüfung. Und ich dachte, ja, ich habe genug dafür gelernt.