EXPERTEN-TALK ZWISCHEN TRADITION UND TRENDS IM KAMPFSPORT

Es ist eine der ältesten Sportarten der Welt, aber was die Popularität angeht, schlägt Boxen härter denn je zu. Warum liegen Boxen und andere Kampfsportarten so im Trend? Und welche Neuheiten erwarten uns in naher Zukunft? Wir haben mit drei Experten gesprochen, um herauszufinden, was sich für die kommenden Jahre abzeichnet.

Interaktives Fitnesstraining auf dem Vormarsch

Lust, gegen Freunde in Finnland zu kämpfen, ohne das Wohnzimmer zu verlassen? Oder möchtest du gegen einen echten Jiu Jitsu-Meister in Brasilien antreten? Es mag weit hergeholt klingen, aber die Technologien, die das möglich machen, sind näher als wir denken. Laut Marketwatch wird der Markt für interaktives Fitnesstraining bis 2024 um 5,44 Mrd. US-Dollar wachsen. Laut Dr. Seth Lenetsky ist interaktives Fitnesstraining derzeit „eine ganz große Sache“. Lenetsky ist Biomechaniker für Kampfsportarten, der auch ein Sporttechnologie-Unternehmen leitet, das interaktives Fitnesstraining in Form von Kickboxen und Boxen entwickelt.

Beschleunigungssensoren, die am Handgelenk befestigt werden, können bereits zählen, wie viele Schläge man beim Training macht und wie schnell man sich bewegt. Doch laut Lenetsky gibt es bei der Entwicklung neuer Technologien noch viel Platz nach oben. Im Moment haben Lenetsky und sein Team von Zev Industries einige große Projekte in der Pipeline. „Stellen Sie sich ein Gerät vor, das misst, wie hart man trainiert, zählt, wie viele Schläge man macht und das den Rhythmus der Punches analysiert. Die Daten können auch zum Coaching auffordern, sodass man Nachrichten erhalten könnte wie: ‚Hey Seth in Victoria British Columbia, lass uns versuchen, den Hieb so auszuführen..., oder lass uns doch mal diese Kombination versuchen..., oder du schlägst einfach härter als du jemals zuvor geschlagen hast.“ Lenetsky spricht auch begeistert über Fitness Gaming, etwa eine Box-Version von „Guitar Hero“ oder über Multi-Player-Optionen, bei denen man virtuell gegen andere auf der ganzen Welt antritt.

Das klingt natürlich nach einer Menge Spaß, doch hinter Systemen dieser Art stecken komplexe Technologien. „Mit solchen Technologien können wir unsere Fähigkeiten effektiv verbessern und mehr erreichen", sagt Rachael Newsham, Co-Program Director für BODYCOMBAT. „Bei Workouts wie THE TRIP tritt das schon jetzt zu Tage. Bei dieser Art von immersivem Training taucht man so sehr in das Training ein, dass man viel härter trainiert als einem bewusst ist.“ Studien belegen, dass dies das Geheimnis ist, um intensiv zu trainieren und dennoch Spaß dabei zu haben.

Kampfsport-Workouts: mehr als Kicks und Punches

Seit Jahrzehnten folgen Kampfsport-Puristen einer Trainingsroutine, die hauptsächlich aus Schlägen und Tritten besteht (sowie ein paar Sprüngen und Crunches als Zugabe). Doch das ändert sich. „Versierte Kampfsportler integrieren heutzutage Hochleistungskraft- und Ausdauertraining in ihren Plan“, so Dan Cohen, BODYCOMBAT Co-Program Director. „Sie setzen mehr und mehr auf funktionelles Training, denn sie wissen, dass sie so am schnellsten fit werden.“

Cohen erklärt, dass funktionelle Übungen mit dem Schlitten, mit Traktorreifen oder Bergsprints schon seit einiger Zeit bekannt sind, aber lange nicht mit Kampfsportarten in Einklang gebracht wurden – bis jetzt. „Es ist großartig zu sehen, dass Studios Cross-Training, Kraft- und Ausdauertraining anbieten und damit verschiedene Disziplinen vereinen. Functional Training und Kampfsport ergänzen sich wunderbar, da sich das Konditionstraining direkt auf die Sicherheit und Effektivität der Schläge und Tritte auswirkt.“

Kampfsportstudios sind voll im Trend

Für die Zukunft, sobald Studios wieder eröffnen: Vergesst dunkle und schmuddelige Boxstudios! Immer mehr Menschen werden ihr Kampfsporttraining in noblen Boutique-Studios absolvieren. Laut Lenetsky hat diese Entwicklung die Wahrnehmung von Boxtraining verändert. Es hat das Boxen aus der schmuddeligen, hässlichen Ecke geholt und dazu beigetragen, den Stereotypen vom Sport für harte Kerle beseitigt. Boxen ist jetzt für alle zugänglich. Das ist eine sehr positive Entwicklung.“

Laut Rachael Newsham tragen Gruppenfitnesskurse und eine ansprechende Trainingsumgebung zu einer niedrigeren Hemmschwelle bei. „Viele Frauen haben sich ihren Weg in einen Bereich gebahnt, der einst von Männern dominiert wurde, und sie inspirieren andere Frauen, diesen Weg ebenfalls zu gehen. Es ist spannend zu sehen, wie Frauen für ihre Gleichberechtigung kämpfen und zeigen, dass sie mit Männern mithalten können und in Sachen Fitness und Geschicklichkeit manchmal sogar überlegen sind.“

Kampfsport sowohl bei Profi- als auch Hobbysportlern immer beliebter

Viele Profisportler, vom Rugbyspieler bis zum Elite-Segler, bauen Kampfsport in ihren Trainingsplan ein. Ringen, etwa, hat sich als besonders effektiv für Rugby-Spieler erwiesen, sagt der in Kanada lebende Lenetsky, der zuvor mit der neuseeländischen Counties Manukau Rugby Union zusammengearbeitet hat, um die Leistung der Spieler zu steigern. Er hat auch mit den Seglern des Emirates Team New Zealand gearbeitet, die er mit Boxtraining fit machte. Er erklärt: „Die Segler brauchten ein leichtes Ausdauertraining und einen intensiven Fokus auf den Oberkörper – da ist Boxen also kaum zu schlagen.“

Doch nicht nur Profisportler profitieren von Kampfsporttraining. Lenetsky setzt sich auch leidenschaftlich für die Erforschung des Boxens zur Bekämpfung von Parkinson ein. „Aufgrund der Corona-Pandemie konnten viele Parkinson-Patienten ihr Boxtraining nicht absolvieren. Es ist herzzerreißend zu sehen, dass sich der Zustand einiger Patienten verschlechtert hat, weil sie ihr Boxtraining nicht absolvieren konnten. Wären wir doch nur ein Jahr weiter mit der Entwicklung interaktiver Fitnesstechnologien, dann könnten diese Menschen von zu Hause aus boxen und ihren Gesundheitszustand erhalten.“

Corona hat Innovationen hervorgebracht

Gruppentraining hat seinen festen Platz unter den Top-Trends im Prognosebericht des American College of Sports Medicine und On-Demand-Fitnesslösungen sind weiterhin auf dem Vormarsch. Mit ein wenig mehr durch Corona befeuerte Kreativität werden mehr Kampfsport-Trainingslösungen entstehen als je zuvor. „Trainingslösungen ohne Equipment, ohne Musik, Online- und Liveangebote,... Da passiert einiges“, so Cohen.

„Wir befinden uns in einer aufregenden Phase, in der wir mehr Denkanstöße geben und Projekte ausprobieren können, die nicht unbedingt festen Regeln folgen müssen. Aktuell probiere ich eine minimalistische neue Trainingsart aus, ohne Musik und inspiriert durch Kampfsporttraining. Das Workout ist Teil der neuen Trainer Series bei LES MILLS On Demand.“

Cohen probiert gerne neue Trainingsarten aus, die Teilnehmern dabei helfen, Bewegungen aus dem Bereich Kampfsport leichter zu meistern. „Das bedeutet, dass Sie über Kicks und Punches hinausgehen und sich die Bewegungen aneignen, die ihre Technik und Kraft verbessern .“ Er erklärt, dass Schlagen und Treten eine nach außen gerichtete Kraft ist, so dass die drückende Muskulatur intensiv trainiert wird. Die intensive Aktivierung der hinteren Kette (sprich aller Muskeln auf der Körperrückseite) ist der perfekte Weg, um dies auszugleichen. „Die Idee ist es, auch die Muskeln zu trainieren, die für eine gesunde, aufrechte Körperhaltung sorgen. “

Boxtraining mit Equipment auf dem Vormarsch

Kontakt- und gerätefreies Training ist zweifellos eine großartige Möglichkeit für Menschen, die auf der Suche nach einem Kampfsport-basierten Training sind, das leicht zu erlernen ist und bei dem die Hemmschwelle niedrig ist. Doch Cohen sieht auch großes Potenzial bei Training mit Equipment. Und damit ist er nicht allein. Der Markt für Kampfsport-Equipment wird Prognosen zufolge im Zeitraum 2020-2024 um 348,4 Mio. US-Dollar wachsen.

Box-Dummies, Boxsäcke oder Boxbirnen gehören wohl zu den bekanntesten Geräten, doch es gibt noch viele andere Arten von Equipment, das bald schon bekannter werden könnte“, erklärt er. „Leistungs-Kampfsportler verwenden oft spezielle Knöchel- und Handgelenksriemen oder -bänder (oder sogar spezielle Anzüge), um ihren Schlägen und Tritten zusätzlichen Widerstand entgegenzusetzen. Das sieht mitunter recht unbeholfen aus, aber ich denke es ist klar, wie intensiv sich der erhöhte Widerstand direkt auf die Schlag- und Trittfähigkeiten auswirkt.“ Cohen möchte einen Mischstil entwickeln, bei dem er Widerstands- und Kampfsporttraining vereint. Er kann sich auch den Einsatz von Widerstandsbändern oder sogar Hanteln oder Gewichtsscheiben vorstellen.

Wie können wir uns das Kampfsporttraining der Zukunft vorstellen?

„Wer weiß, was in zehn Jahren ist?“, sagt Cohen. „Techniklösungen, Hologramme, wissenschaftlich fundiertes Equipment... Das Potenzial ist endlos.“

„Was wir auf jeden Fall wissen: Kampfsporttraining wird uns noch lange erhalten bleiben“, so Rachael. In den USA absolvieren jedes Jahr 3,6 Millionen Menschen Kampfsporttraining – und diese Zahl wird voraussichtlich weiter steigen. Im kürzlich erschienenen Wellness-Index-Bericht waren Gruppenfitness-Workouts mit dem Thema Kampfsport mit überwältigender Mehrheit die beliebtesten Kurse und gehören zu denen, die die 18- bis 25-Jährigen und die 26- bis 45-Jährigen als nächstes ausprobieren möchten. Bei beiden Gruppen war Kickboxen auf der Fitness-To-Do-Liste an erster Stelle. Kampfsport war ebenfalls weit oben auf der Liste.

Seth Lenetsky

Dr. Seth Lenetsky ist der Experte in Sachen Kampfsport. Er hat gewissermaßen einen Doktortitel im Boxen. In den letzten 30 Jahren war er Profi-Kampfsportler, arbeitete mit olympischen Taekwondo- und Boxsportlern, trainierte UFC-Champions und ehemalige Box-Schwergewichte und leitete zahlreiche Forschungsstudien. Zurzeit hat er eine leitende Position bei der Boxing British Columbia Association inne und leitet ein Sporttechnologie-Unternehmen, das interaktives Fitnesstraining mit Kickbox- und Boxelementen entwickelt.

Dan Cohen

Dan Cohen ist Fitnessexperte, der die BODYCOMBAT und LES MILLS CORE Programme von Les Mills mitgestaltet. Der gebürtige Brite lebt derzeit in Auckland. Dan hat jahrelange Erfahrung im Bereich Kampfkünste und setzt seine umfangreiche Kampfsporterfahrung und seinen Hintergrund als Profikämpfer ein, um neue Trainingstrends zu testen. Bevor diese bei BODYCOMBAT fest ins Programm aufgenommen werden, kann bis zu ein Jahr vergehen.

Rachael Newsham

Rachael Newsham leitet seit Jahrzehnten die Entwicklung der BODYCOMBAT Releases. Sie hat über die Jahre unzählige Menschen für regelmäßiges Training begeistert, tausende Instruktoren dazu gebracht, das Beste aus sich herauszuholen und viele Branchenführer im Bereich Fitness und Gesundheit dabei unterstützt, die Messlatte höherzulegen. Neben einem ausgezeichneten Abschluss in Sportmanagement hat Rachael Qualifikationen in Schauspiel und Tanz, hat eine Wing Chun Kung Fu Schule besucht, ein Muay Thai Training in Thailand absolviert und wurde in anderen Kampfkünsten unterrichtet.