„TANZEN WAR DAS ERSTE, WORIN ICH JEMALS RICHTIG GUT WAR“

Gandalf Archer Mills lädt uns in seinen Kursraum ein.

SARAH SHORTT: Wie stellst du eine BODYJAM Release zusammen?

GANDALF ARCHER MILLS: Ich fange bei der Musik an. Ich bekomme 10 Songs und ordne sie in Logic auf meinem Mac, was meiner Meinung nach sehr gut funktioniert. Ich höre mir immer wieder die Songs an, die sich gut am Ende eines Blocks machen könnten, mit denen eine Übung endet, und ich choreographiere, was meiner Meinung nach funktioniert, wenn ich mir die letzten beiden Songs anhöre.

Ich komme dann zurück zum ersten Song und fange an, ihn zu zerlegen. Während dieses Prozesses werde ich den Großteil der Choreographie wieder ändern. Es kommt vor, dass ich mehr als die Hälfte davon komplett ändere, so dass die Choreographie mit dem ersten, zweiten, dritten Song und so weiter übereinstimmt... bis hin zum Endprodukt, das ich am Anfang mit den letzten beiden Songs angestrebt habe.

Um einen Block von Anfang bis Ende durch zu choreographieren brauche ich zwei bis drei Wochen und BODYJAM besteht aus zwei großen Blöcken plus den Solotracks.

Choreographierst du also die ganzen drei Monate, bevor die Masterclass gefilmt wird?

Ich gebe einmal pro Woche einen Freestyle-Tanzkurs und choreographiere dafür sehr viel. Ich benutze die Freestyle-Class, um zu experimentieren, verrückte Moves auszuprobieren, während die Musik für BODYJAM lizenziert wird.

Sechs Wochen vor dem Dreh lege ich die Musik fest und beginne mit der Choreographie von BODYJAM. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine unglaublich gute Choreographie zu haben und dann wird ein Song abgelehnt – denn dann muss man sie erneut bearbeiten. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, so etwas zu beheben, aber ich tendiere dazu, den jeweiligen Song herauszunehmen und einen anderen Song einzuspielen.

Wie hast du deine Leidenschaft fürs Tanzen entdeckt?

So hat alles angefangen: Mein Bruder und meine Schwester waren als Teenager Teil einer Tanzgruppe, in der sie tanzen, singen und etwas schauspielern lernten. Als ich 10 Jahre alt war, kam meine Schwester mit einem der neuen Kurspläne von der Tanzschule nach Hause und da gab es einen Kurs namens Street Funk und ich dachte mir, das will ich ausprobieren!

Ich besuchte den Kurs und es war das erste, worin ich richtig gut war. Ich war von Anfang an gut darin, weißt du? Ich wusste es, der Lehrer wusste es und es gab Leute im Kurs, die viel älter waren als ich, 16 oder 17, und ich hielt mit diesen Kindern nach zwei oder drei Wochen mit.

Wir haben da viele Rib Shifts und Running Mans gemacht, auch Young MC, Technotronic und C&C Music Factory waren dabei. Auf einmal gab so viel neue Musik in meinem Leben. Dann tauchten in Auckland einige Radiosender auf, die Hip-Hop spielten, und mir gefiel diese Art von Musik, aber niemand sonst in meiner Schule oder in meinem Umfeld mochte Hip-Hop – nur ich. Dann, im Jahr 2000, als der Hip-Hop auf der ganzen Welt einschlug wie eine Bombe, sagte ich: Seht ihr?! Ich habs euch doch gesagt! So habe ich mich also in den Tanz verliebt. Mit Rib Shifts.

Was hilft dir, um bei jeder Release so kreativ zu bleiben?

Musik. Sie verändert sich ständig und Künstler kreieren immer wieder neues Tempo, neuen Sound oder Rhythmus… zum Beispiel eine Kombination aus diesem kubanischen Tanzstil aus den 60er Jahren gemischt mit Melbourne Bounce Music. Es gibt so viel Verrücktes in der Musikwelt und so viel Neues zu entdecken, dass ich immer etwas Neues finden werde, wenn ich nur weiterhin interessante Musik höre.

So bleibe ich hauptsächlich kreativ. Aber ich bin mir meiner Arbeitsweise und meines -pensums bewusst und kann unter ein wenig Druck sehr gut choreographieren. Sobald der Druck aber zu groß wird, habe ich Schwierigkeiten und ich muss meinen Arbeitsprozess gut planen. Ich bin es gewohnt, auf Hindernisse zu stoßen und zu wissen, wie man sie überwindet, um das gewünschte Endprodukt fertigzustellen. Es könnte etwas sein, das von einem Tag auf den anderen auftaucht oder sich innerhalb von drei Monaten entwickelt. Kinder zu bekommen ist zum Beispiel eine große Veränderung im Leben, aber man muss sein Produkt trotzdem abliefern.

Nach all den Jahren weiß ich, wie ich am besten arbeite und ich glaube, das kommt mit der Erfahrung. Ich bin ehrlich zu mir selbst. Ich habe vor langer Zeit gelernt zu sagen: „Nein, diese Choreographie ist der absolute Mist, gib dir mehr Mühe!“ Ich habe das lange nicht gewusst. Ich habe mir einfach etwas ausgedacht und solange daran gefeilt, bis ich die Choreo für geeignet hielt… erst später fing ich an, mir mehr Gedanken bei der Arbeit zu machen und seitdem liebe ich die Herausforderung, mir etwas auszudenken und dann herauszufinden, wie ich es noch besser machen kann.

Wie willst du BODYJAM in einer Branche, die so viel Konkurrenz durch Programme wie Zumba und U-Jam hat, weiterhin attraktiv machen?

Ich finde, BODYJAM unterscheidet sich sehr von Zumba und U-Jam und sobald Teilnehmer ein- oder zweimal eine Class besucht haben, merken sie den Unterschied. Ich versuche nicht BODYJAM für jedermann zu gestalten – Ich versuche eine Class für Menschen zu erstellen, die Spaß am Tanzen haben und daher ist auch etwas mehr Koordination bei BODYJAM gefragt, was es etwas komplexer macht als SH’BAM oder Zumba.

LES MILLS hat mir vor langer Zeit die Freiheit gegeben, mir eine Dance Class auszudenken, die nicht irgendein anderes Tanzworkout kopiert und das habe ich immer getan. Ich habe immer versucht eine Tanzchoreographie zu entwerfen, die sich sensationell anfühlt. Neben der Choreographie und der Musik braucht BODYJAM einen großartigen Tanzinstruktor, der viel Wert auf Technik legt und es sich zur Aufgabe macht sich als Tänzer weiterzuentwickeln. Sobald du den richtigen Instruktor hast, dem es wichtig ist, einen großartigen Tanz zu unterrichten – und wir haben das immer wieder gesehen – läuft BODYJAM richtig gut. Vor dir stehen so viele Menschen, die ihre Leidenschaft für das Programm zeigen und sind ganz gespannt auf jede neue Class und jede neue Release.

Welche Tipps würdest du allen BODYJAM Instruktoren mit auf den Weg geben?

Der beste Weg, seine Teilnehmer dauerhaft zu begeistern und selbst Woche für Woche, Jahr für Jahr auf der Bühne Spaß zu haben ist, präsent zu sein. Versuche eine Connection zu der Person aufzubauen, die gerade vor dir steht. Sie sind wegen dir gekommen und du bist für sie da, es beruht einfach auf Gegenseitigkeit. Wenn man das erkannt hat und seine Class darauf ausrichtet, macht es umso mehr Spaß und ist gleichzeitig so einfach und motivierend. Deine Teilnehmer durchschauen zu 100 %, wenn du nur so tust als ob du Spaß hättest.

Was ist dein absoluter Lieblingsmove?

Menschen sind der Meinung, dass es beim Tanzen nur um die Moves geht. Aber darum geht es am allerwenigsten. Für mich geht es beim Tanzen um das Gefühl und die Verbindung deines Körpers mit der Musik, die du in dem Moment hörst. Deshalb war ich noch nie ein Freund von dem Begriff ‚Dance Moves‘. Ich will damit sagen, dass ich unzählige Moves habe, die in vielen Releases immer und immer wieder vorkommen, weil sie einfach so gut funktionieren. Aber ich gebe ihnen keine Namen, weil sie für mich wie eine Choreographie sind.

Wenn du nur noch einen einzigen Tanzstil für den Rest deines Lebens machen könntest, was wäre das?

Als ob ich in einer Art Tanzknast oder auf einer einsamen Tanzinsel wäre? Du gibst mir die passende Musik und ich darf egal welche Musik hören, die dann für immer mit diesem Tanzstil verbunden ist, richtig? Das ist eine schwierige Frage. House wäre mein Favorit, wenn es um das Gefühl beim Tanzen für den Rest meines Lebens geht. Es würde sich jedoch nach 20 Jahren ein wenig wiederholen. Wenn ich mich aber für Hip-Hop entscheiden würde, hätte ich ein breiteres Klangspektrum auf meiner einsamen Tanzinsel… OK, aus musikalischer Sicht wäre es wohl Hip-Hop, wenn die Regeln wirklich genau festgelegt wären. Aus rein tänzerischer Sicht würde ich mich jedoch für House entscheiden.

Wie sieht dein Training neben dem Unterrichten aus?

Neben der Erstellung einer Choreographie für BODYJAM (was schon sehr viel Tanzen beinhaltet), gebe ich Freestyle Classes für jedes Genre, auf das ich gerade Lust habe. Ich gehe zwei- bis fünfmal die Woche zum Krafttraining, dabei arbeite ich mit hohem Gewicht für sechs bis acht Wiederholungen. Zusätzlich mache ich viel für meine Core Stabilität und funktionelles Training. Ich trainiere nicht so oft meine Beine, da BODYJAM bereits sehr beinlastig ist. Im Grunde bin ich dabei 55 Minuten im Squat.

Spielst du das Spiel, in dem man Nonsens-Wörter während des Coachings einbauen soll?

Klar mach ich das, jeder macht das. Das ist so ein lustiges Spiel! Das mache ich immer zusammen mit den Instruktoren und jeder muss ein absolut blödes Wort in sein Coaching während der Class einbauen. Das mach ich wirklich gerne, wenn ich im Team unterrichte. Es ist eine spontane Comedyeinlage, von der die anderen nichts wissen. Man erkennt dabei das wahre Wesen einer Person anhand ihrer Reaktion darauf.

Ich liebe es, auf der Bühne herumzualbern, das ist mein Ding. Ich erzähle die schlechtesten Witze, ABER ich erzähle so viele, dass einer von 10 richtig gut ist! Ich erinnere mich immer nur an den einen guten… denn niemand sollte sich an seine Misserfolge zu erinnern. Ich mache Stand-up Comedy, wenn ich unterrichte. Die Leute wissen das nicht, weil ich es nur ganz wenig in der Masterclass mache, aber komm mal in eine meiner Live Classes und es ist im Grunde Stand-up Fitness.

Was ist dein herausragendstes und erstaunlichstes BODYJAM Erlebnis?

Ich werde niemals BODYJAM 74 im Grand Palais mit 5.000 Franzosen vergessen. Für mich ist die 74 eine der besten Releases in Sachen Musik und Styles sowie Einfachheit und Komplexität… und 5.000 Menschen, die sich noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatten, machten alle die neue Release mit und drehten völlig durch. Als es zu Ende war, war ich so überwältigt und voller Emotionen. Ich ging zum anderen Ende des Raums, fand dort ein paar Betonstufen, legte mich hin und starrte etwa 20 Minuten lang an die Decke des Grand Palais. Ich habe den Abstand gebraucht, um das, was da gerade geschehen ist, zu verarbeiten.

Ich hatte viele erstaunliche Filmerlebnisse, die sich überhaupt nicht nach Dreharbeiten anfühlten. Für mich waren es normale Classes. Einmal habe ich mit Chris Richardson gedreht und es war wie ein einstündiges Freestyle-Coaching. Er stand mitten auf der Bühne und schrie mit erhobenen Armen „noch einer?“ und ich sah ihn dort stehen, schmiss mich zwischen seine Beine und antwortete „noch einer!“ Er hat das gar nicht mitbekommen, weil ich ja direkt unter ihm war. Dann trat er einen Schritt zurück und fiel über mich drüber. Das war ein sehr geiler Dreh.